Warum Philosophie?


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Ein altes Fach wird neu an unserer Schule angeboten

Philosophie liegt im Trend. Das ist verdächtig. "Sophies Welt", die leichtverständliche Philosophiegeschichte in Erzählform, stürmt die Bestseller-Listen. In großformatigen Anzeigen faselt ein Chemie-Industrie-Gigant von seiner "Firmenphilosophie". Erfolgreiche Gewinner unserer Marktwirtschaft, die schon alles haben und nun nicht mehr weiterwissen, buchen ein Philosophie-Wochenende in der Eifel mit Überlebenstraining. Offensichtlich dient heute Philosophie – eigentlich ja die Liebe zur Weisheit – als uralter, offengelassener Steinbruch für Lebenssinn, da alles käuflich geworden ist, die alten Normen krachen, die Moral zum Teufel geht. (Wahrscheinlich wird es im alten Athen nicht viel anders gewesen sein, wenn der reiche Politiker Alkibiades den armen, dicken Genießer Sokrates zum Gastmahl einlud.)

Der Boom der Philosophie verrät, dass viele von ihr letztgültige Antworten erwarten; sie hoffen auf Erkenntnis und geheimes Wissen, das den Wissenden heraushebt aus der Masse der Unwissenden, der nicht Erleuchteten.

Andere verlangen von ihr Lebenshilfe. – Aber: Philosophisches Denken heißt zu aller erst STAUNEN und FRAGEN, woraus sich zunächst und zumeist ergibt: "Ich weiß, dass ich nichts weiß". Jene berühmte Einsicht vor einem der Urahnen der Philosophie, dem schon erwähnten Sokrates.

Wir staunen also die Welt an und fragen: Was heißt das: Denken? Wie kommt es, dass wir trotz unterschiedlichster Sinneswahrnehmungen von Bäumen (grün, braun, oval, groß, niedrig, mit süßen Früchten, ohne Früchte, usw.) immer feststellen können: Das da ist ein "Baum"?

Darüber hat sich Platon zergrübelt und mit seinem berüchtigten "Höhlengleichnis" ein anschauliches Bild seiner Einsicht zu finden versucht. Was kommt zuerst: Riechen, Schmecken usw. oder Denken?

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Das war ein strittiges Thema zwischen dem Franzosen Descartes (der mit dem "ich denke, also bin ich")und dem "coolen", pragmatischen englischen Denkern wie Locke und Humes. Kann ein Mensch überhaupt anders wahrnehmen als in Raum und Zeit? Wie funktioniert so etwas wie "Erkennen"? Sollte die Fähigkeit, ein Objekt zu begreifen, etwas mit dem hochgradigen Präzisionsgriff der menschlichen Hand zu tun haben?

Hierzu hat unser Genie Immanuel Kant staubtrocken aber unwiderlegt selbst von der modernen Hirnphysiologie alles Notwendige gesagt.

Noch ein paar Fragen? Es gibt ja so viele!

Was macht den Menschen zum "Menschen"? Beherrscht der Mensch mit seinen Ideen die Welt? Oder wird er eher von seiner Verdauung beherrscht? Was ist eigentlich "Zeit"? Was heißt überhaupt: Da Sein? Gibt es das Nichts? Der Grieche Zenon meinte, es sei paradox zu behaupten, das Nichts sei da und erzählte eine Geschichte:

Ein Bogenschütze schießt einen Pfeil auf eine Zielscheibe ab, wir alle sehen ihn fliegen. In jedem einzelnen Augenblick seines Fluges aber verharrt der Pfeil bewegungslos, und wenn man all diese Bewegungslosigkeit zusammenrechnet, kann das Ergebnis nicht Bewegung sein.(Bewegung setzt ein Nichts voraus.) Zu Zenons Entschuldigung: er kannte den Film noch nicht. Die großen Philosophen der abendländischen Kultur versuchen. auf diese Fragen, die manchmal schon Kinder stellen, zu antworten, genau wie wir. Wir lesen sie in unserem Kurs, versuchen sie zu verstehen und prüfen, ob wir ganz persönlich etwas mit ihnen anfangen können. Das muss dann jeder für sich entscheiden. Gerade in diesem Fach kann ich als Lehrender viel von meinen Schülern lernen. Was mir als gesicherter Besitz meines Wissens erschien, brachte manche anscheinend naive Frage ins Wanken. Beim Erklären merke ich, wie notwendig es ist, neu nachzudenken. In der Antike herrschte die Auffassung, dass Denken die vornehme Arbeit des Menschen sei. Darüber kann man sicher streiten. Manche mögen meinen, Philosophen seien Spinner, reine Theoretiker mit zwei linken Händen. Ich denke, hier gilt die bewährte Formel: Theorie ohne Praxis ist sicherlich leer, aber Praxis ohne Theorie ist blind. Die spezialisierte naturwissenschaftliche Praxis unserer Zeit, die ohne ein philosophisches Konzept von Mensch und Natur vor sich hinwurstelt, beweist, wie wahr dieser Satz von Blindheit ist. Übrigens: wirkliches Nachdenken ist schwierig, aber das Schwierige kann auch Spaß machen. Eine alte Erfahrung. Allerdings fragen Sie dazu wohl besser die Schüler des ersten Philosophie-Grundkurses am Westerwald-Gymnasium.

Wozu also Philosophie in unserer Schule?

1.Sie lehrt das Staunen und befragt das Selbstverständliche. – 2. Sie definiert den Menschen und das Menschenwürdige. – 3. Sie versucht, das Dasein in der Welt umfassend zu erklären. – 4. Sie versucht Maßstäbe herauszufinden, nach denen wir handeln sollten, wenn wir Menschen bleiben wollen, (siehe 2.). – 5. Sie begründet Lebenshaltungen, mit denen wir Unglück, Glück, Krankheit, Tod begegnen könnten. Sie stoppt einfach den ununterbrochen anschwellenden, sinnentleerten Informationsstrom von Internet und fragt: Warum? Darum Philosophie!

C. Gneist

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