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Im letzten Schuljahr erfolgte per ministeriellem Erlass die Umgestaltung der reformierten Mainzer Studienstufe. Dabei stand die Jahrgangstufe 11 im Vordergrund des erneuten Reformeifers, wurde doch das Kurssystem zugunsten der Wiedereinführung des Klassenprinzips abgeschafft. Die Beweggründe hinter diesen Maßnahmen waren wohl nicht in erster Linie rein pädagogischer Natur, denn ansonsten hätten wohlgeformte, sorgsam über Jahrzehnte (siehe Kultusministerkonferenz) ausgetüftelte Beiträge, Erlasse, Verfügungen und insbesondere Lehrpläne vorgelegen . Schon in den zwei Jahren davor waren solcherart oder ähnliche Denkansätze aus dem Bereich der Kultusbehörden angedacht worden und hatten von Seiten der Betroffenen (insbesondere der Schüler – man denke nur an die Protestaktionen der damaligen SMV auf dem Schulgelände und dem Marktplatz) zum Teil heftige Reaktionen hervorgerufen . In diesem Schuljahr nun erfreuen wir uns der uneingeschränkten Umsetzung dieser Vorgaben, was zu der Anregung führte, Stimmen zur aktuellen Situation bei den betroffenen Schülern, Klassenleitern sowie dem MSS -Koordinator, Herrn Janke, zu sammeln.
Aus der Sicht von Herrn Janke spielen die veränderten organisatorischen Abläufe eine große Rolle . So entfällt im jetzigen System die Aufspaltung in Leistungs – und Grundkurse, die erst mit Beginn der Jahrgangsstufe 12 erfolgt . Die Schüler haben nur im Bereich der Nebenfächer kleinere Wahlmöglichkeiten , die sich jedoch ausschließlich auf das Festlegen bestimmter Interessen und Neigungen beziehen jedoch keine unterschiedlichen Anforderungsprofile beinhalten .
Als Vorteil verbucht er den erzielten Stundenspareffekt bezüglich des Lehrereinsatzes . Die ökonomischen und schulpolitischen Gegebenheiten der Kultusbehörden stehen wohl eindeutig im Vordergrund bei der Motivation der eingeleiteten Maßnahmen . Pädagogische Erklärungsansätze verkümmern daneben zu allzu augenscheinlichen Alibilieferanten. jedoch muss man auf das Phänomen der "halben" Klassenleitung (Herr Janke) verweisen, das den Vorteil der festen Bezugsgröße für die Schüler in sich birgt .
Der sonstige, erhöhte Organisationsaufwand, so in der Abwicklung der anschließend kaum zu ändernden Kurswahlen, die Koordination der klassenübergreifenden Kurse und die Abstimmung der Stundenpläne, birgt jedoch gravierende Nachteile in sich . Aus pädagogischer Sicht umstritten ist auch die sich abzeichnende Festigung alter Klassenstrukturen, die die am Ende der Mittelstufe auftretenden altersbedingten Probleme somit in verstärkter Form mit in die Oberstufe hinüberzieht.
Von allen Beteiligten wird insbesondere der Aspekt der Leistung in den Vordergrund gerückt . Die fehlende Schwerpunktsetzung im Bereich der Kernfächer hat nach
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Ansicht von Herrn Janke eine Niveauabsenkung (Grundkursniveau) gerade in diesem eminent wichtigen unterrichtlichen Bereich zur Folge. Der Leistungskursbeginn in der Jahrgangsstufe 12 erfolgt zu spät, entstandene Defizite können nur sehr schwer aufgearbeitet werden und gehen zu Lasten der nicht so starken Schüler. Aber auch stärkere Schüler werden nicht angemessen gefordert und gefördert. Sein Fazit lautet daher: Rückkehr zum alten System!
Ähnliche Gedanken sind auch von den Klassenleitern der Jahrgangsstufe 11 zu hören. Vorteile werden kaum gesehen, dagegen überwiegen ganz eindeutig die negativen Aspekte. Es wird angemerkt, dass die Schüler durch das Klassenverbandssystem zu lange unselbständig bleiben. Damit einher geht die Beobachtung eines überwiegend "kindlichen" Verhaltens auf Schülerseite. Der Klassenlehrer wird mehr und mehr auf die Funktion eines Organisators reduziert. Die Klassenleiterkomponente der Mittelstufe ist dadurch weit weniger stark ausgeprägt. Als besser wird ein Vertrauensverhältnis mit Tutoren nach Wahl angesehen, wie es in der restlichen Oberstufe praktiziert wird. Auch das Problem der Neuzugänge wird angesprochen. Eine Meinung lautete, Schüler von anderen Schulen hätten in neu gebildeten Kursen bessere Chancen zur Integration, da der festgefügte und über Jahre gewachsene Klassenverband derselben oftmals entgegensteht.
Was den Leistungsaspekt angeht, herrscht die Meinung vor, dass die Mischung aus Leistungs- und Grundkursniveau weder den sehr guten noch den sehr schwachen Schülern gerecht wird. Ebenso fehlt der so wichtige Probelauf ii. Die Schüler erleben einen direkten Sprung in die Leistungskurse12/13, die schon für die Abiturnote zählen. Dieser Punkt kristallisierte sich auf Schülerseite sehr schnell als einer der Hauptnachteile des neuen Systems heraus. Der Sprung wird als zu krass empfunden, zumal keine Leistungskuriumwahl mehr möglich ist (im Gegensatz zum alten System) und oftmals ein Lehrerwechsel mit der Leistungskurswahl einhergeht, so daß der gewichtige Aspekt des Kennenslernens und des Sicht-Aneinander-Gewöhnens einhergeht mit einem gleichzeitigen Leistungsdruck durch die anstehende Abiturqualifikation. Außerdem kritisierten sie die fehlende klare Linie in den übergangsbestimmunen und -lehrplanen. Ganz gravierend empfinden sie die äußerst große Zahl an Nachmittagsstunden. So haben fast alle Schüler an mindestens vier Tagen Nachmittagsunterricht. Die dadurch auftretende Strengsituation gepaart mit der diffusen Leistungsstruktur in den einzelnen Fächern sorgt für eine große Belastung und Verunsicherung auf Schülerseite. Insbesondere geht diese Entwicklung zu Lasten einer ordentlichen und gründlichen Hausarbeit. Viele hangeln sich von Tag zu Tag durch den neuen Schulalltag. Es wird von ihrer Seite angeregt, das neue System zu überdenken.
Alles in allem präsentiert sich die Neuerung in der Jahrgangstufe 11 doch überwiegend in einem negativen Licht. Zu viele negative Aspekte stehen nur wenigen positiven Punkten gegenüber. Die Pädagogik bleibt zum größten Teil auf der Strecke.
T. Heck