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Als im Jahre 1973 erstmals alle Schüler, die die Grundschulen unseres Einzugsbereichs verließen, in die Klasse 5 der Orientierungsstufe aufgenommen wurden, stellte sich auch im Fach Englisch die Frage nach den Integrationsmöglichkeiten. Nach dem Willen der Landesregierung sollten alle Schüler Englisch lernen. Das Fach hatte den großen Vorteil, dass es für alle Schüler neu war; entsprechend war die Motivation bei den Schülern sehr hoch.
Der Fachgruppe stellten sich zwei Fragen: welches Lehrwerk ist geeignet für Schülergruppen, deren Mitglieder sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen; und: wie können wir die Schüler in geeignete Gruppen aufteilen, dass so viele wie möglich die Fremdsprache lernen und den anders begabten Mitschülern nicht entfremdet werden? Als oberstes Ziel wurde die Sprechfertigkeit in der Fremdsprache angestrebt; dieses Ziel sollten alle Kinder erreichen. Weiterhin sollten möglichst alle lesen und schreiben sowie nach einiger Zeit auch selbständig Texte anfertigen können.
Bei unserer Suche zum damaligen Zeitpunkt mussten wir feststellen, dass es noch kein Lehrwerk gab, mit dem wir erfolgversprechend in Klasse 5 und 6 arbeiten konnten. Daher machte sich die Fachgruppe daran, das damals eingeführte Buch mit eigenen Materialien zu ergänzen. Alle trafen sich wöchentlich einmal, um die Lesetexte des Buches in Gespräche umzuarbeiten und auf Tonband aufzunehmen. Ein besonders begabter Kollege fertigte zusätzlich dazu Dias an, die das Lernen optisch unterstützen sollten. Für die Fachkollegen war dies methodische und didaktische Fortbildung, die Jahre später den Namen SCHILF ("Schulinterne Fortbildung")
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Während dieser Arbeit ging die Suche nach einem geeigneten Lehrwerk weiter. Dabei stießen wir auf eine Arbeitsgruppe von Englischlehrern an Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen, die dabei waren, zu einem auf Sprechfertigkeit ausgerichteten Buch Zusatzmaterialien herzustellen.
Nach dem Prinzip Hören – Sprechen – Lesen – Schreiben entstand Unterrichts-, Übungs- und Kontrollmaterial. Mit der Unterstützung unseres Schulleiters gelang es, regelmäßige Dienstreisen nach Nordrhein – Westfalen zu organisieren, damit wir in dieser Arbeitsgruppe mitarbeiten und die Ergebnisse in unserem Unterricht einsetzen konnten. Auch diese Lernphase war für das Englischteam eine wichtige Zeit. Sie dauerte einige Jahre und endete, als endlich die Schulbuchverlage geeignete Lehrwerke auf den Markt brachten, die die Lehrer von der Herstellung von Unterrichtsmaterialien entlasteten. Nach etwa fünf Jahren seit Beginn der integrierten Orientierungsstufe fanden die Fachkonferenzen nicht mehr wöchentlich, sondern 14tägig oder alle vier Wochen statt.
Während der ganzen Zeit der Suche nach geeignetem Unterrichtsmaterial begleitete das Englischteam das Problem der Gruppierung der Schüler. Einerseits sollten alle nach ihren Möglichkeiten Englisch lernen, andererseits waren sich die Lehrer bewusst, dass eine frühzeitige feste Aufteilung in Lerngruppen ein Problem für das soziale Lernen darstellen konnte. Viele machten die Erfahrung, dass Schüler mit schneller Auffassungsgabe sich auch als Lernpartner für Kinder mit größeren Lernschwierigkeiten einbringen konnten. Andererseits mussten diese Schüler auch speziell gefordert werden, um ihren Lernmöglichkeiten gerecht zu werden.
Aufgrund solcher Überlegungen wurden eine Reihe verschiedener Organisationsformen erprobt. In den ersten Jahren wurde die Gruppierung nach Lernniveaus klassenübergreifend versucht. Dabei stellten sich einige Tatsachen als störende Hindernisse heraus. Einmal waren die Klassen sehr groß – bis etwa 1980 weit über 30 Schüler, bis an die 40 -, sodass in allen Lerngruppen meist zu viele Schüler saßen. Zum anderen wurden die Gruppen zu groß und schwer zu unterrichten, wenn einmal ein Kollege oder eine Kollegin wegen Krankheit oder Schwangerschaft ("die englische Krankheit") ausfiel. Da die Schüler in den Gruppen auch aus verschiedenen Klassen kamen, war auch jedes Mal eine neue Eingewöhnungsphase notwendig. Um diesen Problemen aus dem Weg zu gehen, entwickelte die Fachgruppe die Idee des "Springerlehrers". Dabei wurde immer zwei Klassen ein dritter Lehrer zugeordnet, der bei bestimmten Lernschwierigkeiten spontan einen kürzeren oder längeren Kurs anbieten konnte. Zu anderen Gelegenheiten konnte er auch als Vertretungslehrer in einer der beiden Klassen eingesetzt werden oder die Kollegen konnten auch einmal untereinander hospitieren. Der Vorteil war, dass Lehrer und Schüler sich recht gut kennen lernten und die Eingewöhnungsphasen kürzer wurden oder ganz entfallen konnten.
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Während der Erprobung dieses Differenzierungssystems ging in der Fachgruppe die Suche nach noch besseren Möglichkeiten weiter. Schließlich kamen die Kollegen auf die Lösung, die auch heute noch praktiziert wird. Unter Verzicht auf Gruppierungsmöglichkeiten in der Klasse 5, wo die Schüler noch probieren und ihre Neigungen herauszufinden versuchen, werden in Klasse 6 zwei Lehrer pro Klasse eingesetzt; es werden zwei Gruppen gebildet ("Regelkurs" und "A-Kurs"), wo die Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend unterrichtet werden. Die Eltern werden von dem Vorschlag der Kurszuweisung am Ende der Klasse 5 informiert und sie haben immer die Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem Fachlehrer. Sie können einen Gegenvorschlag machen, dem am Anfang der Klasse 6 stattgegeben wird. Spätestens zum Halbjahr Klasse 6 wird dann von der Klassenkonferenz die endgültige Kurszuweisung vorgenommen. Die beiden Lehrer, die in der Klasse unterrichten, haben die Möglichkeit einer intensiven Zusammenarbeit, und sie können sich auch gegenseitig vertreten, weil sie alle Schüler kennen lernen und über den Lernstand unterrichtet sind. Die Schüler haben miteinander keine neuen Probleme, weil sie ja in anderen Fächern sowieso zusammen unterrichtet werden.
In der Englisch – Fachgruppe herrschte über Jahre ein hohes Maß an Zusammenarbeit, das durch die beschriebene gemeinsame Bewältigung der Probleme hervorgerufen wurde. Auch die Tatsache, dass viele Jahre parallele Klassenarbeiten geschrieben wurden, förderte die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Allerdings gab es in diesem Zusammenhang auch nicht zu übersehende Probleme, denn nicht alle Klassen hatten jederzeit die gleichen Lernbedingungen. Daher sind die Arbeiten heute zwar ähnlich, aber stärker den Voraussetzungen der jeweiligen Klasse angepasst. Dennoch gibt es in diesem Bereich unter den Kollegen noch Formen der Zusammenarbeit. Man tauscht sich auch über Unterrichtsideen und angemessene Unterrichtsangebote aus. Leider sind gegenseitige Unterrichtsbesuche seltener geworden, aber Gespräche über Lernprobleme und gemeinsame Anfertigung von zusätzlichem Unterrichtsmaterial oder die Vorführung des Einsatzes bestimmter neuer Materialien findet auch heute noch statt.
U. Seim