Bündnis für Arbeit – eine Mentalitätsfrage

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Auf einem zentralen Busbahnhof der türkischen Millionenstadt Istanbul sitzt auf einem niedrigen Schemel ein alter Mann. Viele der wartenden Fahrgäste kennen ihn und gehen zu ihm, um bei ihm ihren Fahrschein zu kaufen. Der kostet ein wenig mehr als bei der Fahrkartenausgabe – die aber ist einige hundert Meter entfernt auf der anderen Seite des belebten Platzes und der stark befahrenen Straße. Im Bus werden keine Fahrscheine verkauft.

Ökonomisch gesprochen bietet der Alte eine Dienstleistung an, die dem eiligen Kunden nützt, ihn nur wenige Pfennige kostet. In einer betriebswirtschaftlich auf Effizienz ausgerichteten Welt ist diese Leistung leicht zu rationalisieren, durch moderne Automaten z.B. Man spart dann als Kunde die Pfennige. Der Arbeitsplatz des Alten ist dann allerdings auch weg.

Sozial gesprochen haben der Alte und seine Kunden ein Bündnis für Arbeit geschlossen. Dieser bezieht nämlich keine Sozialhilfe, um die er auf einem Amt anstehen muß, um nicht "betteln" zu sagen. Er sitzt auch nicht Mitleid heischend mit einer Blechdose in einer Ecke, um auf die Brosamen seiner Mitmenschen zu warten. Er verkauft seine Leistung nach seinen Möglichkeiten und findet seine Kunden, die ihm freiwillig !! – die Würde erhalten, nicht betteln zu müssen. So kann er seine einfache Lebensumstände selbst finanzieren.

Können wir in Deutschland aus diesem Beispiel etwas lernen?

Unser Sozialstaat der Gegenwart hat zwar für die Alten die Rente und zusätzlich die Sozialhilfe als Hilfe in besonderen Lebenslagen geschaffen. Also müssen wir nicht unsere Alten in vergleichbare Lagen bringen, jedenfalls noch nicht und hoffentlich niemals.

Was aber ist mit denen, die als Empfänger der Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt seit Jahren der wachsenden Klage der Öffentlichkeit über die sozialen Kosten ausgesetzt sind, in Sozialreportagen als Nutznießer einer "sozialen Hängematte" im "Freizeitpark Deutschland" dargestellt werden? Kennt nicht jeder einen, der einen kennt, der in dieses Denkschema paßt? Entsprechen nicht viele Leistungsempfänger mit ihrer Anspruchshaltung dem Vorurteil, soziale Leistungen seien geradezu kontraproduktiv in einer Leistungsgesellschaft der Leistungsfähigen? Wo sollen dann aber die von der gewinnorientierten Wirtschaft als nicht mehr benötigt ausgesteuerten Arbeitskräfte bleiben? Sind sie als stetes Mahnmal für die noch Beschäftigten zu erhalten "Wenn Du nicht spurst, gehörst Du bald auch dazu !" Eines Sozialstaatswürdiger erscheint mir da schon das türkische Beispiel eines Bündnisses für Arbeit. Doch fordert es von beiden Seiten ein Umdenken, vom Finanzier des sozialen Transfers, also den Steuerzahlern und von den Empfängern der Transferleistungen.

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Wie schwer das ist, habe ich an unserer Schule mit Hilfe eines provozierenden Projektes zu erproben versucht. Die Klagen über schon morgens nach Schulbeginn stark verschmutzte Schülertoiletten häuften sich. Der Kreis als Träger finanziert zwar eine schultägliche Reinigung, kann aber natürlich damit keine regelmäßige Qualität sichern, wie sie sich der zivilisierte Benutzer erhofft. Die Schulleitung regte vermehrte Aufsichten der Lehrer an. Ihr war aber klar, daß diese die Sauberkeit auch nicht verbessern würden. Diese wäre nur über regelmäßige Reinigung zu erreichen, wie sie in manchen Restaurants und Raststätten mit vergleichbarer Benutzerfrequenz zuweilen gesichert ist.

Hier setzte mein Vorschlag zu einem Bündnis für Arbeit ein: die Schule müßte einen Arbeitsplatz schaffen, der nur der schultäglichen Toilettenreinigung dient. Die Entlohnung müßte als Anreiz deutlich oberhalb der Sozialhilfe (im Kreis derzeit 539 DM monatlich für einen Haushaltsvorstand) liegen, der Benutzerbeitrag der Schüler sollte je Schultag 10 Pfennig betragen. Diese Beitrag würde bei 500 Schülern und 200 Schultagen 10000 DM jährlich erbringen, also etwa 840 DM monatlich. Eine Vorsprache beim Schulträger ergab, daß dieser als gleichzeitiger Träger der Sozial hilfe einen misch-finanzierten Arbeitsplatz durchaus als gestaltbare Möglichkeit sah, wenn die Schulgemeinschaft als weiterer Partner auftreten würde. Der Kreis würde Steuern und Sozialabgaben tragen und gleichzeitig eine gewisse Einsparung verzeichnen, was bei der starken Belastung mit Sozialhilfekosten nicht zu verachten wäre. Mit dieser Auskunft konnte die Diskussion in die Schulgremien getragen werden, weil der Vorschlag nicht schon im Voraus als rechtlich nicht umsetzbar abzutun war. Die Reaktionen spiegeln die Schwierigkeiten, denen sich die Schaffung von Arbeitsplätzen außerhalb der betriebswirtschaftlichen Ebene der Gewinnorientierung grundsätzlich ausgesetzt sieht.

Kernpunkt der Widerstände war der Gedanke bei vielen Schülern, eine Leistung bezahlen zu sollen, die man vielleicht gar nicht oder nur selten in Anspruch nimmt. Daß diese Finanzierung grundsätzlich bei allen Gemeinschaftsaufgaben in gleicher Weise erfolgt, wurde nicht bedacht. Die tägliche Toilettenreinigung wird schließlich auch aus Steuern finanziert. Hier ginge es nur um eine Steigerung des Anspruchs auf jederzeit

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gesicherte Sauberkeit, ohne den Schulträger zu belasten, stattdessen eine Solidarfinanzierung der Schülerschaft zu organisieren. Da die öffentliche Diskussion um den Abbau der Telefonzellen oder Poststellen aber den Rückzug der Solidarfinanzierung auch in anderen Feldern zeigt, darf diese Einstellung der Schülerschaft nicht wundern.

Der Gedanke, einem derzeit Arbeitslosen die Chance auf einen Arbeitsplatz und vermehrtes Einkommen zu eröffnen, spielte dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Dazu hat aber sicher auch die Wahl des Beispiels einer sozial weniger akzeptierten Dienstleistung ("Der letzte Mann") beigetragen. Unter Kollegen wurde gar bezweifelt, ob sich überhaupt ein Kandidat für einen solchen Arbeitsplatz finden würde.

Eine weitere Erschwernis in der Diskussion bildete die Frage der Zuständigkeit: Der Schulleiter ist kein Personalchef, das Kollegium hat keine Befugnis einer Regelung mit Außenwirkung, der Schulelternbeirat und die Schülervertretung werden gehört und wirken mit, regeln aber nicht eigenständig solche Personalangelegenheiten. Der Kreis als Schulträger brauchte aber einen Partner, um eine gesicherte Basis bei der Mischfinanzierung zu haben.

Vorläufiges Fazit: Ein Bündnis für Arbeit brauchte erstens den festen Willen der Beteiligten, Arbeit an die Stelle der Arbeitslosigkeit zu setzen, zweitens eine Aufwertung des Gedankens der Solidarfinanzierung statt unaufhörlicher Diffamierung und drittens die Schaffung von Organisationsstrukturen, die die Umsetzung im konkreten Fall nicht an Unzuständigkeiten und Zentralisierung scheitern lassen, vereinfacht gesagt: eine Stärkung autonomer und kommunaler Handlungsmöglichkeiten.

Dr. E. Blohm

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