Wie alles begann


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Der folgende Text wurde weitgehend anhand von Mitteilungen angefertigt, die wir von Herrn Theiß, Herrn Geitner und Herrn Heck erhielten. Sie waren 1973 die Leiter der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums.


 

Die Vorgeschichte

Anfang der 60er Jahre kam in der Bundesrepublik eine öffentlich geführte Diskussion über die Situation der Bildungseinrichtungen und der notwendigen Bildungsziele auf. Es konstituierte sich ein Bildungsrat, der nach Jahren intensiver Arbeit ein Entwicklungskonzept für das gesamte deutsche Bildungswesen verlegte.

Unter anderem fand sich dort die Idee der Förderstufe vor. In der damaligen Bundesrepublik entstand eine bildungspolitisch fruchtbare Stimmung. Die Kultusministerien fanden sich bereit, entsprechende Schulversuche zu fördern. In die Frühphase dieser auf die Verbesserung der Bildungschancen ausgerichteten politischen Willensbildung fällt der Anfang der Entwicklung des Altenkirchener Schulzentrums. Von Seiten der Landesregierung bestand das Interesse, dem Konzept der integrierten Gesamtschule ein anderes Modell entgegenzusetzen, nämlich das der Kooperativen Gesamtschule. In diesem Zusammenhang waren die Wünsche, die aus Altenkirchen an das Kultusministerium herangetragen wurden, durchaus passend und wurden entsprechend gefördert.

Wie Herr Geitner berichtet, mussten die Realschüler aus Altenkirchen in den 50er Jahren nach Hachenburg gehen, da in Altenkirchen noch keine Realschule existierte. Infolgedessen setzten sich der damalige Landrat des Kreises, Herr Dr. Sinzig, und der Bürgermeister der Stadt Altenkirchen, Herr Dr. Haas, für die Gründung einer Realschule ein. Ab 1960 wurden alle Schüler für das Gymnasium und die Realschule in eine gemeinsame Eingangsstufe in Altenkirchen aufgenommen. Darauf baute dann das Gymnasium und die neugegründete Realschule auf. Als Herr Heck 1962 seinen Dienst am Gymnasium Altenkirchen aufnahm, hatte die Realschule gerade ihr erstes 7. Schuljahr aufgenommen.

Herr Geitner erinnert sich: "Frau Martin, Volksschule Altenkirchen, Studienassessor Stein, Gymnasium Altenkirchen, und ich, Realschule Hachenburg, bekamen den Auftrag, eine Aufnahmeprüfung vorzubereiten und durchzuführen.

Wir drei hatten die für beide Schulen gemeldeten Kinder – es waren einige über 60 – in den Klassen 5 und 6 zu unterrichten mit dem Ziel, nach der 6. Klasse durch eine Schullaufbahnempfehlung siebente Klassen für das Gymnasium und die Realschule zu bekommen. Stoffpläne und Lehrinhalte haben wir drei in ständigen Absprachen selbst erstellt. Auch die Auswahl von Lehrbüchern haben wir selbst

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bestimmt. Nur ganz wenige Erziehungsberechtigte sind unserer Empfehlung nach der Klasse 6 nicht gefolgt, und zwar zugunsten beider Schularten. Die ersten 7. Klassen ab Ostern 1962 aus der „Eingangsstufe“ waren von je ca. 30 Schülern besucht."

Hier wurde bereits der Grundstein gelegt für die Teamarbeit, die in der weiteren Entwicklung der Orientierungsstufe und der späteren Kooperativen Gesamtschule notwendig wurde. Geitner: "Während der Arbeit unseres kleinen Teams wurde uns allerdings auch rasch bewußt, wie wertvoll zukünftig schulartübergreifende Zusammenarbeit im Hinblick auf fundierte Schulartempfehlungen sein wird."

Die Teamarbeit wurde auch bei veränderter Besetzung intensiv fortgesetzt. Herr Geitner und Frau Martin bekamen in Herrn Heck und 1973 in Herrn Theiß sehr kooperationswillige und -fähige Mitarbeiter.


 

1973: Beginn der Integrierten Orientierungsstufe

Die Schüler

Ab diesem Jahr wurden alle Schüler der Klasse 5 aus unserem Einzugsbereich ohne Empfehlung oder Aufnahmeprüfung in die Orientierungsstufe aufgenommen. Sie begann 9-zügig mit zwei Jahrgängen, die drei folgenden Jahrgänge waren dann 10-zügig; bis 1982/83 wechselte sie zwischen 9- und 10-Zügigkeit; dann kamen die schwächeren Jahrgänge, in denen die Orientierungsstufe 8- bis 7-zügig wurde. Ab 1993/94 wurde sie wieder 10-zügig und in den letzten beiden Jahren ist sie sogar 12-zügig. Die Klassenstärke betrug bis 1980/81 weit über 30, meist sogar nahe an die 40 Schüler pro Klasse. Ab diesem Jahr wurde die Klassenstärke auf 30+ 10% reduziert, obwohl landesweit dieses Ziel erst für 1985 angestrebt wurde. Ab 1984/85 gab es noch einmal eine Reduzierung; bis 1993/94 blieb die Klassenstärke unter 30, danach jedoch erhöhte sie sich wieder auf über 30 Schüler pro Klasse. In den jetzigen Klassen 5 ist die Schülerzahl zwischen 27 und 30.

Die räumliche Situation

Als die integrierte Orientierungsstufe 1973 ihre Arbeit aufnahm, war die räumliche Situation noch sehr angespannt. Die meisten Klassen wurden in Baracken unterrichtet, die auf dem Gelände des heutigen Fachklassentraktes standen; einige Klassen hatten Asyl in der damaligen Landwirtschaftsschule oder in der alten Grundschule II. Im Sommer 1973 wurde dann das heutige Gebäude der Orientierungsstufe eingeweiht. Während des Baus hatte sich bereits herausgestellt, dass die Planer sich verrechnet hatten. Es mußte ein Anbau ausgeführt werden, der vor die "Panoramafenster" des Lehrerzimmers gesetzt wurde. In den Jahren, in denen die Orientierungsstufe 7 – 9 -zügig war, verfügte sie über einige eigene Fachräume: es gab einen Musikraum, zwei Kunsträume, einen Physik-/Biologieraum. Diese Räume mussten aber wieder als Klassenräume verwendet werden, sowie die Zahl der

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Klassen stieg. Es gab auch einige Jahre ein eigenes Sprachlabor für die Orientierungsstufe, aber der Gebrauch stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Geräte waren sehr anfällig für Störungen, und es stand auch für jede Klasse nur eine Stunde pro Woche zur Verfügung. Die Kontrolle der Geräte und die Überwachung der ordnungsgemäßen Nutzung dieser Einrichtung nahmen mehr Zeit in Anspruch als Übungszeit für die Schüler übrigblieb. Daher wurde der Raum einige Jahre später als Klassenraum eingerichtet und die sprachlichen Übungen fanden – und finden heute noch – mit Hilfe von Kassettenrekordern in den jeweiligen Klassenräumen statt. Es war von Anfang an eingeplant, dass in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch eine Gruppenbildung stattfinden sollte; aus dem Grunde wurde die Mehrzahl der Klassenräume teilbar gemacht und es wurden einige kleinere Räume mitgeplant. Jedoch stellte sich heraus, dass diese Raumausstattung auch nur kurzzeitig ausreichend war. Bald fehlte ein Elternsprechzimmer, dann fehlten auch Kursräume und natürlich die Fachräume. Die weiterführenden Schulen halfen aus mit einem entsprechenden Angebot im Rahmen der Kooperativen Gesamtschule.


Die Lehrer

Von Anfang an unterrichteten Lehrer aller Schularten an der Integrierten Orientierungsstufe. Es gab allerdings keine gezielte Aus- oder Fortbildung für diese Schulstufe, die ja ihre neuen Herausforderungen für jeden Beteiligten hatte. Es gab auch Kollegen, die gar nicht für die Schule ausgebildet waren, und nach der Auflösung der Volksschulen in Grund- und Hauptschulen wurden auch Volksschullehrer an das Gymnasium und damit auch an die Orientierungsstufe versetzt. Keine dieser Lehrergruppen wurden in irgendeiner Weise für die neuartige Arbeit fortgebildet. Hinzu kam, dass diese Lehrergruppen nicht nur verschiedene Gehälter bekamen, sondern sie hatten auch verschiedene Arbeitszeiten. Eine Zeitlang war es möglich, dies teilweise dadurch auszugleichen, dass der Leiter des Gymnasiums, an dem die Orientierungsstufe geführt wurde, aus dem damals noch reichlicher bestückten Topf der Ermäßigungsstunden Stunden so verwendete, dass die Lehrer, die in dem gleichen System eingesetzt wurden, auch die gleiche Stundenzahl zu unterrichten hatten. Die Schulleiter setzten darauf, dass Lehrer, die sich freiwillig an diesem Schulversuch beteiligten, auch bereit waren, sich in besonderem Maße einzubringen. Das Prinzip der Freiwilligkeit bewährte sich denn auch weitgehend, obwohl es natürlich auch verschiedene Auffassungen von der Arbeit mit unterschiedlich begabten Kindern gab. Die Auseinandersetzungen um diese Fragen fanden in den häufig abgehaltenen Fach- und Stufenkonferenzen statt. Sie entzündeten sich an Fragen nach den geeigneten Unterrichtsmaterialien und den Maßstäben und dem Zeitpunkt für die Aufteilung der Schüler in kleinere Lerngruppen.


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Grundsätzliche Fragen

Hierbei spielten grundsätzliche Überzeugungen der Lehrer eine wichtige Rolle, zum Beispiel ob die Schullaufbahn stärker von der mitgebrachten Begabung oder von den sozialen Verhältnissen bestimmt wird, ob die Schule eine Umgebung anbieten kann und soll, die vor allem die unterschiedlichen Voraussetzungen im sozialen Bereich ausgleichen und so die Lernvoraussetzungen für die benachteiligten Schüler verbessern könnte. Einige Kollegen befürchteten, dass das soziale Klima in den Klassen durch eine frühzeitige Aufteilung der Kinder in Leistungsgruppen leiden könnte, und dass es einige sich langsamer entwickelnde Schüler daran hindern könnte, das ihnen mögliche Lernniveau zu erreichen. Andere wiederum fürchteten, dass die schneller lernenden Schüler durch die langsamen an einem Lernfortschritt gehindert werden könnten. All diese Überlegungen führten zu den unterschiedlichsten Lösungsversuchen. Es wurden innerhalb einer Klasse unterschiedliche Lernangebote gemacht, es wurden kurzfristige Lerngruppen gebildet, es wurden drei, zeitweise sogar vier, Leistungsgruppen festgelegt.


Zusammenarbeit

Wie aus all dem klar wird, war und ist dieses sehr komplexe System der Orientierungsstufe und der Kooperativen Gesamtschule nur durchzuhalten, wenn ein hohes Maß an Zusammenarbeit gewährleistet ist. Dieses war in Altenkirchen immer der Fall. Die Schulleiter und ihre Vertreter wurden in Mainz und Koblenz gemeinsam vorstellig, um Wünsche vorzutragen und Lösungen von Problemen durchzusetzen. Sie planten den Einsatz von Lehrern gemeinsam, wobei durchaus auch ein Austausch zwischen den Schularten stattfand; die vorhandenen Räume wurden jeweils auch von den anderen Schulen mit genutzt. Dabei bewährte sich die Tatsache, dass die Schulleiter auf gleicher Ebene miteinander umgingen; Heck: " … ich kann nicht von den Lehrern erwarten, dass sie zusammenarbeiten, und bei uns geht es wieder hierarchisch zu."

Geitner: "Eine Grundbedingung, wie ich sie erfahren habe: wenn die beteiligten Schulleiter nicht ‚miteinander können oder wollen‘, wird Kooperation nicht stattfinden. Das … war bei uns kein Problem."

Alle drei Schulleiter der ersten Stunde bestätigen, dass die Zusammenarbeit zwischen ihnen problemlos war. Auch die Nachfolger arbeiteten gut zusammen.


Übergang zu den weiterführenden Schulen Weniger problemlos war das Verhältnis zwischen der Orientierungsstufe und den aufnehmenden Lehrern der weiterführenden Schulen. Es gab immer wieder Auseinandersetzungen bezüglich dessen, was die Lehrer der weiterführenden

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Schulen zu Recht von den Siebtklässlern erwarten konnten. Es gab Kritik an der Arbeit der Orientierungsstufe, was dazu führte, dass die Lehrpläne und Lehrinhalte überprüft wurden auf ihre Zweckmäßigkeit und man sich auf die wesentlichen Lernziele einigte. Das Problem des Übergangs hat die Kollegen all die Jahre begleitet und beschäftigt. Im Grunde zielte die integrierte Form der Orientierungsstufe auf eine integrierte Gesamtschule; die Tatsache, dass die Schüler nach der Klasse 6 auf drei verschiedene Schularten zu verteilen waren, verursachte natürlich auch sehr unterschiedliche Erwartungen an den Unterricht der Orientierungsstufe.

Aber auch umgekehrt gab es Veränderungen in den Mittelstufen der weiterführenden Schulen, da die Lehrer ihre Schüler auch da abholen mussten, wo sie sich gerade befanden. Diese Schwierigkeiten wurden dann unter anderem auch dadurch aufgefangen, dass Lehrer, die in der Orientierungsstufe gearbeitet hatten oder auch noch arbeiteten, eine siebte Klasse in einer der weiterführenden Schulen übernahmen. Außerdem gab es die Möglichkeit, mit den abgebenden Lehrern Gespräche zu führen, in denen über Schüler oder besondere Bedingungen in einzelnen Fächern ein Gedankenaustausch stattfand.


Übergang von der Grundschule

Auch die Frage des Übergangs von der Grundschule zur Orientierungsstufe wurde in Angriff genommen. Die zukünftigen Klassenlehrer der neuen 5. Klassen bekamen einige Male Gelegenheit, die Grundschulklassen zu besuchen und sich mit den Arbeitsweisen und dem sozialen Umgang in der Grundschule vertraut zu machen. Im Laufe der Jahre wurde ein ganzes Eingewöhnungsprogramm für die Neulinge an der Orientierungsstufe entwickelt, das bis heute Bestand hat. Auch in Fragen des Unterrichtsstoffes, der Fachsprache zum Beispiel im Grammatikunterricht, der Arbeitstechniken gab es Ansätze für eine Zusammenarbeit. Ein neues Feld der Zusammenarbeit eröffnet sich im Fach Englisch, wo in der Grundschule gerade ein neuer Arbeitsbereich erschlossen wird.


Akzeptanz der Orientierungsstufe bei den Eltern

Wie die Schülerzahlen zeigen, fand die Orientierungsstufe bei der Elternschaft großen Anklang, wenn auch nicht immer ohne Kritik. Manche Eltern zogen es allerdings vor, ihre Kinder nach der Grundschule auf andere Schulen zu schicken. Eine große Zahl von Eltern akzeptierte das neue System, das ihnen ermöglichte, zwei Jahre länger zu überlegen, welche Schulart für ihr Kind die richtige sei. Die Empfehlung der Klassenkonferenz war von Anfang an eine Gutachtenempfehlung; sie wurde – und wird – nicht ausschließlich auf Grund eines Notendurchschnitts gegeben, sondern es werden alle Beobachtungen und Entwicklungshinweise, die ein

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Kind betreffen, mit einbezogen, um zu einer fundierten Empfehlung zu kommen. Viele Eltern haben diese Beratung dankbar wahrgenommen, und die meisten von ihnen sind auch der Empfehlung gefolgt. Seit etwa 1987 ist der Schulversuch Orientierungsstufe und Kooperative Gesamtschule beendet.


Die Stufenleitung

Die Orientierungsstufe hatte immer eine eigene Stufenleitung, die eng mit den Leitern der weiterführenden Schulen zusammenarbeiteten. In den ersten Jahren nahm Frau Martin diese Aufgabe wahr; später wurde ihr Herr Humrich zur Seite gestellt. Nach beider Pensionierung übernahmen Frau Zerres von der Realschule und Herr Hasenjäger vom Gymnasium diese Aufgabe und arbeiteten engagiert an der Weiterentwicklung der Orientierungsstufe bis 1991.

U. Seim

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