Suchtprävention


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Viele Eltern haben mir gegenüber die Ansicht vertreten, daß für ihren Sohn, für ihre Tochter keine Gefahr besteht, drogenabhängig und süchtig zu werden, denn "mit Drogen hat mein Kind nichts zu tun". Dieser Ansicht möchte ich widersprechen. Denn: Alle Kinder kommen mit Drogen in Kontakt! Daß sich eine Abhängigkeit und Sucht einstellen kann, darf man deshalb nicht von vorneherein ausschließen, sondern muss als drohende Gefahr erkannt werden.

Wie sieht’s denn ganz realistisch in der Welt des Gymnasiums aus?

7. Klasse

Die staatlich konzessionierten Drogen wie Alkohol und Zigaretten werden in der Regel von den SchülerInnen weder regelmäßig noch gelegentlich konsumiert. Die illegalen Drogen wie Haschisch, LSD oder die Designer-Droge Ecstasy gehören nicht in die Lebenswelt der 12jährigen. Dennoch: Nahezu alle SchülerInnen der 7. Klasse sind süchtig! Das gilt auch für alle SchülerInnen kommender Klassen. Und dies liegt an der süßen Gefahr Zucker. Zucker wird als Muntermacher verkauft, als Grundnahrungsmittel und Energiespender. Dabei steht fest, daß der weiße Industriezucker, der keinerlei Vitalstoffe und andere lebensnotwendige Substanzen

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enthält, krank macht. Und Kinder, die Cola oder Limonade trinken (10- 15% Zuckeranteil), Schokolade (ca. 50% Zuckeranteil) und Gummibärchen (77% Zuckeranteil) futtern, leiden unter vielfältigen Symptomen wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Lernschwächen. Sie haben eine verlängerte Reaktionszeit, Schlafstörungen, sind gereizt und entwickeln depressive Gefühle. Langzeitfolgen sind ein übersäuerter Organismus mit einem unausgewogenen ph-Wert des Blutes. So entstehen Rachen-, Mandel-, Magen- und Dickdarmentzündungen. Pilzinfektionen im Darm werden begünstigt. Parasitäre Hefepilze setzen sich im Darm fest und belasten so erheblich das Immunsystem. Neben Immunschwächen und psychischen Störungen sei zu guter letzt noch auf Gefäßerkrankungen, Stoffwechselstörungen, Diabetes, Parodontose, Gebißverfall und die Volkskrankheit Nummer eins: Karies (96- 100% leiden unter ihr) hingewiesen, die durch Zuckerkonsum ausgelöst werden.

Also: Die weiße Substanz ist für den Körper so notwendig wie Zigaretten und Alkohol. Mit ‚Ernährung‘ hat Zucker nichts zu tun. Isolierter Zucker ist eher eine Droge als ein Nahrungsmittel, ein Genußmittel, das süchtig machen kann.

8. Klasse

Meist entwickeln die SchülerInnen dieser Klasse ein gesteigertes Bedürfnis sich darüber zu informieren, was für Drogen es gibt, aus welchen Substanzen sie bestehen, wie diese Inhaltsstoffe auf den Organismus wirken und wie diese Drogen zu beziehen sind. Aufklärungs- und Informationsarbeit hat deshalb gerade in der 8. Klasse große Chancen, erfolgreich zu sein. Neben dieses Aufklärungsinteresse tritt jedoch der ungeheure Reiz, Drogen auszuprobieren und ihre Wirkungen zu erfahren. Deshalb lassen sich ca. 50% der 13jährigen – häufig auf Wandertagen und Klassenfahrten – gelegentlich auf die flüssige Droge Alkohol ein, verführt von der Gesellschaft, die konsequent z. B. in den Familien oder über die Werbung die Suchtdroge Nummer eins als Stimmungsmacher, Seelentröster oder flottes Lifestyle-Symbol anpreist. Konsumiert wird dann selten Bier, meist sind es süße Liköre, Schnäpse und Weinbrand.

9. Klasse

Leider gehört Alkohol für einige wenige SchülerInnen – meist sind es Schüler – nun zu einer Droge, die regelmäßig – oft mit Billigung der Eltern! – konsumiert wird. Nicht von ungefähr sind deshalb 10% der 2,5 Millionen (!) Alkoholkranken in der Bundesrepublik Jugendliche. Der Kasten Bier auf einer Fete wird zunehmend üblich, und die besorgte Mutter bringt schon mal, wenn die Klasse zeltet, ’nen Kasten Bier für die Gruppe vorbei.

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Amphetamine, hier vor allem Ecstasy, werden als Party- und Harmoniedrogen von den Jugendlichen dieses Alters kennen- und leider auch von wenigen schätzen gelernt. Ecstasy setzt durch seine adrenalinähnliche Wirkung den Körper in Alarmbereitschaft, so wie bei Streß, Freude und Angst. Ca. 20 Minuten nach Einnahme kommt es zu Blutdrucksteigerung, Pupillenerweiterung, Steigerung der Herzfrequenz, Bronchienerweiterung, Drosselung der Darmtätigkeit, Verengung der Hautgefäße, erhöhter Wachheit, motorischer Unruhe, Tremor, verstärktem Atem, Erhöhung des Grundumsatzes des Grundstoffwechsels und des Sauerstoffbedarfs der Gewebe. Nach meinen Erfahrungen kommen ca. 4060% der SchülerInnen der 9./10. Klasse mit Ecstasy nicht nur in Kontakt, sondern sind auch bereit, die bunten Pillen ‚einzuwerfen‘, um die Wirkungen am eigenen Körper zu erfahren.

10. Klasse

Mit der Klasse 10 beginnt aus Sicht der Suchtprävention in etwa die Oberstufe.

Vor dem MSS-Café werden bisweilen rauchende Zehntklässler gesichtet-, Fêten ohne Alkohol sind rar und werden deshalb von vielen Jugendlichen gemieden. Klassenfahrten und Wandertage ohne Alkoholprobleme werden selten. Viele Kids werden am Wochenende nicht ohne Stimulantia wie z.B. Ecstasy auf dem Rave sein.

11.-13. Jahrgangsstufe

Das Konsumverhalten der Mittelstufe verschärft sich hier. Das liegt daran, daß die SchülerInnen mobil werden. Sie fahren selbst Auto oder kennen jemanden, der Auto fährt. So gelangen sie nicht mehr nur ins Nachbardorf, sondern auch in die Städte und Großstädte. Und nicht selten, wie mir SchülerInnen versicherten, wird das vollbesetzte Auto von jemandem gesteuert, der vollgedrönt mit Haschisch oder gar LSD hinterm Lenkrad sitzt. Da hilft nur Daumendrücken, wenn man heil nach Hause kommen will.

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Zum Schluß sei noch ein Blick ins Lehrerzimmer gewagt. Ob kurz vor dem Lehrerbeitrag beim Variéte, ob auf dem Lehrerausflug, ob bei der Feier kleiner Dienstjubiläen: Alkohol gehört wie überall in unserer Gesellschaft wie selbstverständlich dazu.

Nikotindünste verbreiten dagegen nur noch wenige LehrerInnen. Das ist gut so. Haben doch gerade die Lehrer und Lehrerinnen hier eine wichtige Vorbildfunktion für die Jugendlichen. Ansichten und Überlegungen zur Suchtprävention lassen sich halt am besten dann glaubhaft vertreten, wenn der Beratungslehrer keine Zigaretten pafft und Alkohol nur in Maßen konsumiert. Aber nicht nur der Beratungslehrer ist gefordert. Jeder Erzieher hat hier einen bedeutende Vorbildfunktion.

Natürlich ist Suchtprävention nicht nur Lehrersache. Suchtprävention beginnt schon im Vorschulalter. Ein harmonisches Elternhaus, in dem Kinder sich frei entwickeln können, in dem ihre Fähigkeiten erkannt, gefördert und bestätigt werden, ist unerläßlich, wenn die Kinder nicht auf die schiefe Bahn gelangen sollen. In der Regel sind in der Grundschule meist durch mangelnde Fürsorge im Elternhaus für einen späteren süchtig machenden Drogenkonsum die Weichen gestellt, so daß Suchtprävention auf dem Gymnasium im Grunde schon zu spät kommt. Dennoch kann hier eine erfolgreiche Aufklärung und Information gelingen, nämlich dann, wenn Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen zusammenarbeiten und das Drogenproblem nicht bagatellisieren und herunterspielen, sondern ernst nehmen, und ehrlich, offen und engagiert angehen.


PS.: Vom 12. auf den 13. Juli 1996 findet für SchülerInnen der 7. und 8. Klassen auf der Freusburg ein Theater-Workshop im Rahmen der Suchtprävention statt. Anmeldungen für diese und kommende Veranstaltungen nehme ich gerne entgegen.

J. Kowalke, Beratungslehrer in Fragen der Suchtprävention

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